Keine Überwachung auf Schritt und Tritt

Die Jungen Liberalen (JuLis) Karlsruhe erheben Protest gegen das Vorhaben von Bundesinnenminister Thomas de Maizière zur „Intelligenten Videoüberwachung“, für das in dieser Woche ein Feldversuch am Bahnhof Berlin Südkreuz gestartet ist [1]. „Bereits die ‚klassische‘ Videoüberwachung, bei der Videobilddaten erfasst, und zu Evidenzzwecken gespeichert oder zur Situationserfassung in Echtzeit an eine Zentrale übermittelt werden, geht uns JuLis heute viel zu weit.“, sagt der Vorsitzende der JuLis Karlsruhe, Moritz Klammler, „Dabei kann eine Videoüberwachung in begrenzten Fällen durchaus ein angemessenes Mittel sein; ihr ubiquitärer Einsatz im öffentlichen Raum stellt jedoch eine inakzeptable Gefahr für die freie Gesellschaft dar. Die Pläne des Innenministers sind allerdings von einer Qualität, die vieles bisher Dagewesene noch in den Schatten stellt.“

Wie bei Überwachungsvorhaben üblich, scheint aktuell noch niemand wirklich zu wissen, wie genau das nun erprobte System eingesetzt werden soll. Zwei Features scheinen jedoch bereits klar zu sein. Einerseits soll das System über eine Gesichtserkennungssoftware verfügen, die jede erfasste Person mit einer Datenbank abgleicht, und im Falle einer Übereinstimmung weitere Aktionen triggert. Andererseits soll das System auch „typische Verhaltensmuster“ erkennen und gegebenenfalls Alarm schlagen. Beide Komponenten sind extrem bedenklich.

Die Möglichkeit, sich als unbescholtener Bürger frei im öffentlichen Raum bewegen zu können, stellt eine unverzichtbare Voraussetzung der freiheitlichen Demokratie dar. Diese Freiheit wird angegriffen, wenn sich der Einzelne nie sicher sein kann, dass seine Bewegungen gerade erfasst werden, und ausgewertet wird, welche Orte er aufsucht, oder mit welchen Menschen er sich trifft. Wenn das neue System flächendeckend zum Einsatz käme, würde es den Sicherheitsbehörden auf Wunsch von jedem Menschen in Echtzeit ein Bewegungsprofil liefern, gegen dessen Erfassung man sich faktisch nicht wehren könnte. Nachdem niemand wissen kann, ob er gerade Gegenstand einer heimlichen Überwachungsmaßnahme ist, müsste man immer davon ausgehen, gerade verfolgt zu werden. Zwar werden wir auch heute schon pausenlos von Überwachungskameras gefilmt, der prohibitiv hohe Arbeitsaufwand, um aus diesen Daten massenhaft Bewegungsprofile zu extrahieren, macht diesen Angriff bisweilen jedoch unwahrscheinlich.

Besonders brisant wird das Gefahrenpotential der geplanten Maßnahme, wenn man sich vor Augen führt, dass soziale Netzwerke wie Facebook enorme Datenbanken mit biometrischen Daten beliebiger Menschen anlegen, etwa um sie auf hochgeladenen Fotos zu taggen. Ob diese fragwürdige Praxis rechtskonform ist, kann an dieser Stelle dahinstehen. Klar ist jedenfalls, dass Sicherheitsbehörden im Zweifel auch auf diese Daten zugreifen und sie in ihre Überwachungssysteme einspielen könnten. Es bedarf keiner großen Phantasie mehr, um auf die Idee zu kommen, Äußerungen in sozialen Netzwerken automatisiert auszuwerten (was dank des kürzlich beschlossenen Netzwerkdurchsetzungsgesetz’ bereits ohnehin permanent geschieht) um zu entscheiden, welche Nutzer auch im echten Leben observiert werden sollen. Wie es im Schatten dieser potentiellen Repression möglich sein soll, Meinungen frei auszutauschen und von demokratischen Rechten Gebrauch zu machen, ist kaum vorstellbar.

Die Verhaltensmusteranalyse ist mindestens ebenso bedenklich. Nachdem letztendlich niemand weiß, auf welches Verhalten die Software anspringt, bleibt nur eine diffuse Angst, ständig eine falsche Bewegung machen zu können, und sich damit schwer vorhersehbare Unannehmlichkeiten einzuhandeln, die eine Intensivierung der gegen einen gerichteten heimlichen Überwachungsmaßnahmen ebenso enthalten können wie eine Verhaftung. Vor Angst, irrtümlich als Taschendieb, Drogendealer oder Vandale klassifiziert zu werden, werden viele Menschen ihr Verhalten ändern, und bewusst oder unterbewusst versuchen, sich unabhängig davon, worauf die Software tatsächlich achtet, so zu verhalten, wie sie denken, dass es „konform“ sei (chilling effect). Eine Gesellschaft, wie wir JuLis sie uns vorstellen, lebt aber im Gegenteil davon, dass auch exzentrische Menschen ihren Platz finden und sich frei und extravagant bewegen können.

„Insgesamt ist für uns JuLis klar, dass dieses Projekt ungeachtet etwaiger tatsächlicher oder vermeintlicher Beiträge zur öffentlichen Sicherheit eine eklatante und inakzeptable Grundrechtsverletzung darstellt, die nicht zu rechtfertigen ist.“, sagt Moritz Klammler, „Das Innenministerium muss dieses Projekt sofort stoppen.“

Referenzen:

  1. Roman Tyborski, Mit Hightech-Kameras gegen das Verbrechen. Handelsblatt, 1. August 2017 15:35, https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/gesichtserkennung-im-testlauf-mit-hightech-kameras-gegen-das-verbrechen/20133754.html